Die griechische Tragödie nimmt scheinbar kein Ende. Während am Wochenende wieder 80.000 Athener auf dem Syntagma-Platz gegen die drastischen und ihrer Ansicht nach ungerechten Sparbemühungen protestierten, träumt die Regierung von weiteren Sparprogrammen im Umfang von bis zu 78 Milliarden Euro, um dem Druck des Internationalen Währungsfonds IWF und der Europäischen Union nachzugeben. Währenddessen hat die griechische Wirtschaft in weiten Teilen bereits den ökonomischen Offenbarungseid geleistet.
„Die Umsätze brechen von Monat zu Monat mehr ein – und das obwohl wir heute schon bei nur noch 40 Prozent des Umsatzes von 2008 sind“, so Geogrios Karavasilis*, seines Zeichens Vertriebsmanager eines deutschen Büroausstatters, der in Griechenland mit Kooperationspartnern seit der Euro-Einführung gute Geschäfte gewohnt war. „Selbst wenn die Leute auch Geld hätten, bei einer Umsatzsteuer von 23 Prozent überlegt man sich jeden Kauf doch zweimal“, so seine nüchterne Bilanz. In der Tat stöhnt nahezu das gesamte Volk unter einer nie dagewesenen Abgabenlast. Nicht nur Steuern wurden drastisch erhöht, auch die Abgaben für öffentliche Dienstleistungen und die Gebühren von öffentlichen Einrichtungen treiben den meisten Griechen nur noch die Zornesröte ins Gesicht. Öffentlicher Ungehorsam ist mittlerweile zu einer alltäglichen Übung geworden, so Karavasilis weiter. „Wer zahlt auch noch horrende Gebühren in der Stadtbücherei, wenn er die Bücher einfach so in den Briefkasten wieder werfen kann oder sie gar nicht mehr zurückgibt“.
Die Folgen dieses zivilen Ungehorsams gegenüber staatlichen Anordnungen lassen die Staatskasse noch leerer werden als sie das ohnehin schon ist. Der Staat ächzt sowieso seit Jahren unter einer mieserablen Zahlungsmoral seiner Bürger und selbst bei Rechtsorganen wie den Rechtsanwälten ist das Pflichtbewusstsein was die pünktliche und korrekte Begleichung der Steuerschuld anbelangt nach Expertenmeinung nicht immer allzu ausgeprägt. Gerade letztere gehören auch zum Kundenkreis von Vertriebsmanager Karavasilis. Aber selbst die Ärzte und Anwälte halten sich mittlerweile mit Büroeinrichtungen spürbar zurück, wohl auch, weil ihnen selbst viele bislang zahlungskräftige und -willige Kunden fernbleiben. „Jetzt zu investieren ist nicht unriskant. Die Zinsen sind zwar niedrig, aber keiner weiß, was mit den Banken in diesem Land noch passieren wird. Und vor allem weiß keiner, ob und wann wir aus dieser Rezession rauskommen“, so der Manager weiter.
Dass die Unsicherheit in Griechenland groß ist und das Misstrauen gegenüber dem Staat ohnehin, hat lange Tradition. Aber auch fundierte Daten belegen, dass man bei den Angaben des griechischen Staats und seinen Regierungen vorsichtig sein muss. Bezeichnet war dafür die griechische Informationspolitik gegenüber der europäischen Statistikbehörde Eurostat. So veröffentlichte Eurostat am 23. September 2004 in einer Pressemitteilung ein Staatsdefizit von 4,6 Prozent für das Jahr 2003. 2006 betrug das Staatsdefizit für 2003 schon laut Eurostat 5,8 Prozent, um dann 2007 schon auf 6,2 Prozent anzusteigen.
Derartige griechische Ungereimheiten haben auch die Europäische Kommission auf den Plan gerufen. Für Investoren ist die Tatsache, sich nicht auf gegebenens Datenmaterial stützen zu können jedoch fatal.
Viele Unternehmensberater scheuen sich angesichts der tiefen Wirtschaftskrise und der anhaltenden Unsicherheit über die ökonomische Datenlage des Landes nicht selten konkrete Empfehlungen für Investments in Griechenland auszusprechen. Hintergrund ist, dass ein valides Risikocontrolling praktisch immer dann scheitern muss, wenn eine zu hohe Schwankungsbreite in den Kennzahlen der Risikoevaluation für eine Investition zu erwarten ist. Und genau diesen Zustand findet man derzeit in Griechenland vor, so ein Analyst einer Münchner Unternehmensberatung. Große europäische Konzerne können sich durch die erzwungene Privatisierung staatlicher Habseligkeiten noch Anteile an den griechischen Sahnestücken in der Telekommunikation, der Energieversorgung oder den Meereshäfen sichern. Für mittelständische deutsche Unternehmen ist das Risiko jedoch in vielen Segmenten derzeit kaum abschätzbar.
Wie lange Geogrios Karavasilis seinen Job im Vertrieb noch behalten kann, weiß er auch nicht. Auch er rechnet damit, dass sich die deutschen Firmen in Griechenland rar machen könnten. Dann wäre auch er obwohl gut ausgebildet und mehrsprachig wohl arbeitslos und die große griechische Tragödie wäre um einen Mosaikstein noch größer geworden.
*Name redaktionell geändert